Phil intensiv – Schostakowitsch!
Werke von
- Dmitrij Schostakowitsch (1906–1975)
- Symphonie Nr. 9 Es-Dur op. 70
- Dmitrij Schostakowitsch (1906–1975)
- Symphonie Nr. 14 für Sopran, Bass, Streichorchester und Schlagzeug op. 135
Besetzung
- Marko Letonja
Dirigat - Annette Dasch
Sopran - Dimitry Ivashchenko
Bass
Ein Komponist als Spiegel seiner Zeit: Eine „Geheimgeschichte Russlands“ sah der Cellist Mstislaw Rostropowitsch im symphonischen Schaffen von Dmitrij Schostakowitsch, als „apokalyptischen Soundtrack zum 20. Jahrhundert“ bezeichnete der Musikwissenschaftler Gottfried Blumenstein dessen Werk. Keine Frage, kaum ein Komponist hat den lebenslangen Spagat zwischen Kunst und Politik so verkörpert wie Schostakowitsch. Zeitlebens hat er versucht, diese Problematik zumindest zu ertragen, wenn er sie schon nicht lösen konnte. Das brachte ihm allerdings oft genug Kritik von Freund wie Feind ein. Die zweifelten zuweilen beide an ihm. Diese Gratwanderung ruinierte letztendlich die ohnehin schon fragile Gesundheit des Komponisten, der das Komponieren aber trotz – oder gerade wegen – allem nicht aufgab und Werke voller Dramatik, Passion und Authentizität schuf. Die Idee, die ungeheuer faszinierende Musik von Schostakowitsch zum Thema eines kleinen Festivals zu machen, stand für Marko Letonja schon lange auf der Wunschliste. Das Werk dieses Komponisten liegt dem Generalmusikdirektor der Bremer Philharmoniker sehr am Herzen, und es ist ihm ein besonderes Anliegen, das Mini-Festival „Phil intensiv“ nach fast zehn Jahren Pause mit Schostakowitsch wiederzubeleben.
Das 6. Philharmonische Konzert wird deshalb ausgeweitet: Drei Tage lang geht es nur um Dmitrij Schostakowitsch und seine Musik: Schostakowitsch intensiv.
Tag 1
Bestellt war eine „Siegessymphonie“, eine Hymne auf den Diktator Stalin, die ihm anlässlich des Sieges über Nazideutschland huldigen sollte. Doch was lieferte Schostakowitsch 1945 als 9. Symphonie? So ziemlich genau das Gegenteil, allerdings so raffiniert, dass ihm keiner etwas anhaben konnte. Ein Geniestreich! Was für ein Kontrast dazu ist die 14. Symphonie: eine Suite aus elf Liedern, die fast alle um das Thema Tod kreisen. Schostakowitsch war in dieser Zeit schwerkrank, beschäftigte sich viel mit den letzten Dingen. Das Ergebnis ist ein zutiefst erschütterndes Werk, das unter die Haut geht.
Das Abendprogrammheft finden Sie hier.
Texte zur 14. Symphonie
Deutsche Adaptation aller Gedichte von J. Morgener
De profundls (Baß)
Federico Garcia Lorca (1899--1936)
Einhundert heiß Verliebte
schlafen für immer,
schlafen unter der trocknen Erde.
Rot sind die langen Straßen,
die Straßen von Andalusien.
Grüne Olivenbäume bei Cordoba sich neigen.
Dort stehen hundert Kreuze,
daß wir sie nicht vergessen.
Einhundert heiß Verliebte
schlafen für immer.
Malagueiia (Sopran)
Federico Garcia Lorca
Seht den Tod
ein- und ausgehn
in der Taberne.
Nachtschwarze Pferde
und finstere Seelen
durchschreiten die Schatten
der Gitarre.
Es duftet berauschend
nach Salz und Fieber
aus allen Blüten
des Meeres.
Der Tod
geht ein und geht aus,
geht aus und geht ein,
der Tod
in der Taberne.
Loreley (Sopran/Baß)
Guillaume Apollinaire (1880-1918)
nach Giemens Brentano
Zu der blonden Hexe kamen Männer in Scharen, die vor Liebe zu ihr fast wahnsinnig waren.
Es befahl der Bischof sie vor sein Gericht,
doch bewog ihn zur Gnade ihre Schönheit so licht.
»Loreley, deine Augen, die so viele gerühret,
welcher Zauber hat sie nur zum Bösen verführet?«
»Laßt mich sterben, Herr Bischof, verdammt ist mein Blick.
Wer mich nur angeschauet, kann nimmer zurück.
Meine Augen, Herr Bischof, sind schreckliche Flammen.
Laßt mich brennen am Pfahl, denn ihr müßt mich verdammen!«
»Loreley, wie soll ich dich verdammen, wenn mein Herz
für dich steht in Flammen: heile du meinen Schmerz!«
»Sprecht nicht weiter, Herr Bischof, laßt Euch nicht von mir rühren, denn Gott hat Euch bestimmt, mich zum Tode zu führen.
Fort von hier zog mein Liebster, hat sich von mir gewandt,
ist von dannen geritten in ein anderes Land.
Seither trauert mein Herze, darum muß ich verderben.
Wenn ich nur in mein Antlitz seh, möchte ich sterben.
Fort von hier zog mein Liebster, nun ist alles so leer,
sinnlos ist diese Welt, Nacht ist rings um mich her!«
Der Bischof läßt kommen drei Ritter: »Ihr Treuen,
bringt die Jungfrau ins Kloster, dort soll sie bereuen.
Geh hinweg, Loreley! Falsche Zauberin du,
wirst als Nonne nun finden im Gebet deine Ruh.« Mühsam sieht man sie dort einen Felsweg beschreiten. Und sie spricht zu den Männern, die ernst sie begleiten:
»Auf der Höhe des Felsens will ich einmal noch stehn
und das Schloß meines Liebsten von ferne nur sehn.
Und sein Spiegelbild laßt mich zum letzten Male betrauern, danach könnt ihr mich bringen in Klostermauern!«
Und ihr Haar fliegt im Winde, seltsam leuchtet ihr Blick,
und es rufen die Ritter: »Loreley, zurück! Loreley, zurück!«
»Auf dem Rheine, tief drunten kommt ein Schifflein geschwommen, drinnen steht mein Geliebter, und er winkt, ich soll kommen!
O wie leicht wird mein Herze! Komm, Geliebter mein!«
Tiefer lehnt sie sich über und stürzt in den Rhein.
Und ich sah sie im Strome, so ruhig und klar,
ihre rheinfarbnen Augen, ihr sonniges Haar.
Der Selbstmörder (Sopran)
Guillaume Appollinaire
Drei Lilien, drei Lilien schmücken in Demut mein kreuzloses Grab. Drei Lilien, bedeckt mit Gold, das vom Winde verstreut auf den Wegen. Leis glänzen sie auf, wenn die nachtschwarzen Wolken sie tränken mit Regen, und ragen in einsamer Schönheit, voll Stolz wie der Könige Stab.
Aus meiner Wunde steigt eine den Strahlen der Sonne entgegen, da entfaltet sich blutend die Lilie, die Schrecken mir gab. Drei Lilien, drei Lilien schmücken in Demut mein kreuzloses Grab. Drei Lilien, bedeckt mit Gold, das vom Winde verstreut auf den Wegen.
Die zweite entwächst meinem Herzen allein, das geht leidend zugrunde von Würmern zerfressen. Die dritte der Lilien entwächst meinem Mund. Sie wachsen und blühen auf meinem vereinsamten Grab. Ihre Schönheit ist nur ein Fluch, wie das Schicksal ihn meiner Vergänglichkeit gab.
Drei Lilien, drei Lilien schmücken in Demut mein
kreuzloses Grab ...
Auf Wacht 1 (Sopran)
Guillaume Apollinaire
Er muß heut abend sterben den Tod im Schützengraben, mein kleiner Sturmsoldat, dessen müde Augen
Tag für Tag nur zur Verteidigung des Ruhmes taugen.
Für Ruhm allein ist er nicht mehr zu haben.
Er muß heut abend sterben den Tod im Schützengraben, mein kleiner Sturmsoldat, mein Bruder du, mein Glück.
Und weil er sterben muß, will ich heut abend schön sein,
auf meinen Brüsten soll leuchten der Flammenschein, zerschmelzen soll mein Blick die schneebedeckten Höhen, und wie ein Band von Gräbern wird mein Gürtel sein.
In tiefer Sünde wie im Tode will ich schön sein,
weil er heut sterben muß, im Graben dort allein.
Der Abend brüllt wie dunkle Kühe, es flammen Rosen,
und blaue Fittiche verzaubern meinen Blick.
Der Stundenschlag der Liebe - ein fieberndes, heißes Kosen. Der Sichelschlag des Todes- ein letzter Gruß zurück.
So wird er heute sterben, so wie die dunklen Rosen,
mein kleiner Sturmsoldat, mein Bruder du, mein Glück.
Auf Wacht II (Sopran/Baß)
Guillaume Apollinaire
Madame haben eben
irgend etwas verloren ...
Pah! Kleinigkeiten! Ach, es war nur mein Herz,
und glaubt mir, ganz leicht aufzuheben.
Einmal gab ich's her, einmal nahm ich's zurück,
ja, so ist das Leben.
Er lag da im Schützengraben. Ich lache laut um die Liebe,
die dort für den Tod gegeben.
Im Kerker der Sante (Baß)
Guillaume Apollinaire
Man zog mich völlig aus und schloß mich in den Kerker ein. Das Schicksal blieb vor meiner Tür. Im Dunkel ich allein.
Wo seid ihr Freunde, euer Sang, ihr Mädchenlippen rot.
Hier wölbt sich über mir das Grab, hier wartet nur der Tod. Nein, ich bin nicht der, als der ich einst geboren:
hier bin ich Nummer Fünfzehn und hoffnungslos verloren.
In einem Graben wie ein Bär geh ich im Kreis,
im Kreis umher.
Der Himmel lastet schwer, ich seh ihn nimmermehr.
In einem Graben wie ein Bär geh ich im Kreis umher.
Warum, oh mein Gott? Du kennst meinen Schmerz,
denn du hast ihn mir gegeben.
Erbarm dich, erbarm dich meiner Leiden,
sieh, mein Antlitz fast ohne Leben!
Erbarm dich all der armen Herzen,
die hier im Dunkel des Kerkers schlagen,
nimm von mir den Kranz, mit Dornen besät,
und laß meinen Geist nicht verzagen!
Der Abend naht lautlos, und plötzlich
über mir Licht, das die Dunkelheit bannt.
Im Stillen hier, ganz allein in der Zelle:
ich und mein klarer Verstand.
Antwort der Zaporoger Kosaken an den Sultan von Konstantinopel (Baß)
Guillaume Apollinaire
Der du schlimmer als Barrabas bist
und gehörnt wie ein Höllendrachen,
Beelzebub ist dein Freund, und du frißt
nichts als Unflat und Dreck in den Rachen,
abscheulich dein Sabbath uns ist.
Du verfaulter Kadaver von Saloniken,
blutiger Traum ohne Sinn,
deine Augen, zerstochen von Piken:
deine Mutter, die Erzbuhlerin,
sie gebar dich stinkend in Koliken.
Henkersknecht von Podolien! Du träumst von Pein,
Schorf und Wunden, Eitergeschwüren.
Arsch der Stute, Schnauze vom Schwein!
Alle Arzenei soll nur schüren
Pest und Aussatz in deinem Gebein.
(Dieses Gedicht versucht, die drastische und historisch belegte Kosakenantwort auf die Forderungen des Sultans nach Unterwerfung und Tributzahlung dichterisch zu formulieren. Die Episode, die Gogol in seinem Poem »Taras Bulba« schildert, hat auf dem bekannten Gemälde Repins ihre realistische, bildhafte Darstellung gefunden.)
An Delwig (Baß)
Wilhelm Küchelbeker (1797-1846)
O Freund, mein Freund! Was ist der Lohn
für meine Taten, für mein Dichten?
Wo bleibt der Trost für die Begabung,
zwischen Verbrecherpack und Wichten?
Doch wenn die Geißel des Gerechten
die Schurken weist in ihre Schranken,
erbleichen sie, und die Gewalt
der Tyrannei beginnt zu wanken.
O Freund, mein Freund! Was zählt Verfolgung?
Unsterblichkeit ist doch der Lohn
erhabener und kühner Taten,
der Preis für des Gesanges süßen Ton.
Denn unvergänglich ist der Geist,
das freie, freudig-stolze Wesen,
das Bündnis, das die Menschen eint,
die von den Musen auserlesen.
(Wilhelm Karlowitsch Küchelbeker [1797-1846] ist ein zum Puschkin-Kreis zählender Dichter deutscher Herkunft. Die Verse sind seinem Gedicht »Die Poeten« [1832] entnommen und
an seinen kurz vorher gestorbenen Freund Anton Antonowitsch Delwig [1798-1831] gerichtet, der als Teilnehmer am Dekabristen-Aufstand gleichfalls zum Freundeskreis von Puschkin gehörte.)
Der Tod des Dichters (Sopran)
Rainer Maria Rilke (1875-1926)
Er lag. Sein aufgestelltes Antlitz war
bleich und verweigernd in den steilen Kissen,
seitdem die Welt und dieses von-ihr-Wissen,
von seinen Sinnen abgerissen,
zurückfiel an das teilnahmslose Jahr.
Die so ihn leben sahen wußten nicht,
wie sehr er Eines war mit allem diesen;
denn Dieses: diese Tiefen, diese Wiesen
und diese Wasser waren sein Gesicht.
O sein Gesicht war diese ganze Weite,
die jetzt noch zu ihm will und um ihn wirbt;
und seine Maske, die nun bang verstirbt,
ist zart und offen wie die Innenseite
von einer Frucht, die an der Luft verdirbt.
Schlußstück (Sopran/Baß)
Rainer Maria Rilke
Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.